Ich war nicht erschrocken gewesen, erst jetzt, als der Mönch in der Mitte das sagte, erschrak ich, wie ein Augenzeuge, der den Tatverdächtigen glasklar wiedererkennt. Mir wurde schwindelig, ich machte einen Schritt nach rechts, nicht weil mich irgendetwas von außen oder innen anrempelte, sondern weil ich, als der Mönch in der Mitte „Guten Abend“ sagte, ahnte, dass er das ganze großflächige Leben in einer einzigen Bewegung umdrehen würde. (S. 131) In einem nigerianischen Sprichwort heißt es, es brauche ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen. Im Fall von Luise und Martin, die in den Achtzigern in einer winzigen Dorfgemeinschaft im Westerwald aufwachsen, ist dies unbedingt zutreffend. Was die Ehrziehungsberechtigten der beiden an Zuwendung, Aufmerksamkeit, Empathie, Lebenspraxis und -weisheit vermissen lassen, wird durch die übrigen Dorfbewohner*innen wettgemacht. Luises überlebensgroße Großmutter Selma, die wie Rudi Carell aussieht, ist Lakonie in Reinform und Herz und moralischer Komp...
Not only the future has not yet arrived, it no longer seems possible. (S. 21) Mark Fisher kann man nicht lesen und dabei nicht trauern. Den Gedanken daran, dass er vier Jahre nach der Erstveröffentlichung von Ghosts of my life Suizid begangen hat, kann ich bei der Lektüre nicht abschütteln, er sitzt mir im Nacken, er beklemmt. Ich denke darüber nach, wie absurd und ironisch es doch ist, ein Buch über lost futures zu lesen, dessen Autor entschieden hat, auf die Möglichkeiten alternativer Zukünfte zu verzichten. Das Gefühl, das sich breit macht: Wie gerne hätte ich noch mehr von ihm gelesen, wie erhellend wären seine Analysen unserer Gegenwart gewesen. Aber nun Tacheles: Ghosts of my life , olivgrüner Umschlag, 232 Seiten, vier Abschnitte, 26 Kapitel. Es geht um Gespenster, aber auf eine 100% unesotherische Weise. Es geht um Depressionen, aber in ihrer gesellschaftspolitischen Dimension. Es geht um Kulturkritik – Musik, Filme, Serien, Bücher – aber die Linse der Kritik ist eine p...